Delhi und der Norden - Götterberge, Scheiterhaufen und
Paläste
Wie eine gigantische Schale liegt die fruchtbare Landschaft
Nordindiens zwischen den lichten Dschungeln des indischen Herzlandes Madhya
Pradesh und den höchsten Gipfeln der Erde. Aus dem Himalaya strömt Indiens
heiliger Fluss, der Ganges, der als Strom der Götter angesehen wird, aber
mangels Tiefe nicht als Wasserstrasse nutzbar ist. Die schneereichen Winter
von Srinagar und Leh in Kaschmir, die üppigen Ernten im grünen Punjab,
die in Delhi schon Ende April und Anfang Mai lähmende Hitze - diese Klimastichworte
machen die Kontraste im Norden Indiens deutlich.
Das Taj Mahal in Agra bewahrt den Glanz einer vergangenen Welt. Delhi
ist Zeuge mächtiger Dynastien wie drückender Kolonialherrschaft und heute
die Hauptstadt der größten Demokratie der Welt. Varanasi, heilige Stadt
am heiligen Fluß Ganges, macht als Stätte des Lebens und des Todes am
Strom Eigenart und Gedankenfülle des Hinduismus anschaulich, ist seit
Jahrtausenden das Pilgerziel aller Hindus. Die honiggelben Tempelskulpturen
der Tänzerinnen und Liebenden von Khajuraho sind kostbarste Zeugnisse
einer tabufreien Erotik früher Hindu-Herrscher. Schönste buddhistische
Kunstwerke wurden in Sanchi, Sarnath und Bodhgaya geschaffen. Religiöser
Mittelpunkt der Sikhs und märchenhafte Erscheinungen über heiligem Wasser
ist der Goldene Tempel in Amritsar.
Jaipur und der Westen - Karawanenstädte im Wüstensand
Der Bundesstaat Rajastan wird oft als Wüstenstaat bezeichnet.
Wörtlich heißt Rajastan "Land der Könige". Früher konkurrierten
23 Fürstentümer. Die königlichen Rajputen waren stolz und kriegerisch,
tatkräftig und ehrsüchtig. Der Indira-Gandhi-Kanal verwandelt die Wüste
im Westen in fruchtbares Land. Ehedem hatten auch viele reiche Kaufleute
ihren Sitz am Rand oder mitten in der Wüste. Ihre palastartigen Häuser
(Havelis) sorgen mit Ihren Steinmetzfassaden noch heute für Staunen.
Durch Rajastan und auch durch Gujarat, den westlichsten Staat Indiens,
rollen die historischen Luxuszüge der Maharajas. Die große Halbinsel Gujarat
hat lange Strände, oft noch ohne jeden Tourismus, herrliche Tempel und
einmalige Naturreservate. In Gujarat leben als einflussreiche, wenn auch
winzige Minderheit die Jains. Sie haben die Tempelstadt Palitana, das
"Weiße Wunder", gebaut. Sie prägten die Ideen von Vegetarismus
und Gewaltlosigkeit, die auch für Gandhi - 1869 in Gujarat in der Hafenstadt
Porbandar geboren und erzogen - zur Basis seiner Lehre wurden. Die Folgen
des schweren Erdbebens, das im Jahr 2000 besonders Gujarat traf, fallen
weithin nicht mehr ins Auge - bis auf die noch nicht behobenen schweren
Zerstörungen im westlichsten Teil, in Rann of Kachchh.
Die schönsten Palmenstrände liegen an der Südspitze, aber sie gehören
nicht zu Gujarat, sondern zu Diu, der kleinen Insel, die bis 1961 portugiesische
Kolonie war.
Bombay und die Mitte - Bollywood und Buddhastätten
Bombay heißt seit 1995/96 offiziell Mumbai und besinnt
sich damit wieder auf eigene Tradition statt der von den Kolonialherren
eingeführten Namen. Die Hauptstadt des Staates Maharashtra sorgt bei der
ersten Ankunft regelmäßig für einen Kulturschock. Das Manhattan Indiens
hat durch die Hochhäuser von Banken und Industriefirmen eine amerikanische
Skyline bekommen. Aber zu ebener Erde zeigt die Megastadt am Arabischen
Meer auf Märkten und Plätzen, in Filmstudios (deshalb Bollywood) wie in
Nobelhotels, in der Architektur wie in den Kochtöpfen Indiens eine faszinierende
Mischung westlicher und orientalischer Lebensart.
Der Staat Maharashtra ist fast viermal so groß wie Österreich. Parallel
zur Küste verläuft die steile Gebirgsstufe der Western Ghats, die zum
Hochland Dekkan hinaufführt. Während das schmale Küstenland der Konkan
Coast fruchtbar ist und einige Strände hat, die der Tourismus gerade entdeckt,
ist das Hochland ein Herzstück indischer Kultur. In den Höhlentempeln
von Aurangabad, Ellora und Ajanta ist das künstlerische Erbe des Buddhismus
und frühen Hinduismus zu bewundern. Noch im 17. Jahrhundert erhob sich
in Maharashtra unter dem Volkshelden Shivaji der Hindu-Widerstand gegen
die muslimischen Moguln. Noch viel älter ist die Tradition der Burgen
- rund 350 an der Zahl. Im 20. Jahrhundert sog Bhagwan Shree Rajneesh
(Osho) Anhänger aus aller Welt in seinen Ashram nach Pune (Poona).
Das südlich angrenzende Andhra Pradesh ist Brücke nach Südindien, doch
gehört sein Hauptteil zum zentralen Dekkan-Plateau, einschießlich der
Hauptstadt Hyderabad und dem imposanten Golconda-Fort: Sie sind Hauptreiseziele
in diesem Bundesstaat, der ebenso wie Maharashtra beginnt, seine Strände
und Naturlandschaften zu erschließen.
Calcutta und der Osten - Teegärten, Tiger, Tempelwagen
Bihar und Westbengalen, zwei der drei großen Oststaaten
Indiens, gehören auch zu den am dichtesten besiedelten des Subkontinents
(gemeinsam mit Kerala im tiefen Süden). Orissa dagegen, verlockend reich
an Palmenhainen und Stränden, üppig geschmückten Tempeln und lebendigem
Kunsthandwerk, ist für indische Verhältnisse eher wenig bevölkert. Kulturelle
wie touristische Sonderfälle sind Sikkim und die Staaten bzw. Territorien
des Nordostens: Assam, Meghalaya, Tripura, Mizoram, Manipur, Nagaland
und Arunachal Pradesh. Für Reisen in die Nordoststaaten, auch "Sieben
Schwerstern" genannt, waren bis vor Kurzem Restricted Areas Permits
(RAP) notwendig. Assam, Meghalaya und Tripura können ohne Formalitäten
besucht werden, und über Guwahati, die Hauptstadt von Assam, und Shillong
sind Bus-, Bahn- und Flugverbindungen sehr verbessert worden. Auch die
großen Nationalparks wie der Kaziranga mit seltenen Nashörnern können
wieder besucht werden.
Ein extremer Kontrast zu der grünen Natur der Himalaya-Territorien ist
die Megastadt Calcutta. Dem Moloch mit mehr als 11 Millionen Einwohnern
entfliehen manche, kaum dass sie angekommen sind, andere bleiben und erleben
das enorme Gedränge als faszinierend.
Seit Bengalen 1947 geteilt, der Osten erst ein Teil Pakistans, dann das
unabhängige Bangladesh wurde, halten Spannungen und ein nicht enden wollender
Flüchtslingsstrom ins indische Westbengalen an. Calcutta war bis 1911
die Hauptstadt Britsh-Indiens und ist bis heute das kulturelle Zentrum
des Ostens geblieben.
Früheste Stätten indischer Geschichte und Mythologie liegen im Staat Bihar.
Heute ist er in großen Teilen gesellschaftlich rückständig, geprägt von
gewaltsamer Ausbeutung und Rechtsbeugung. In Bihar stand die Wiege des
Buddhismus, später regierte Kaiser Ashoka, der vielleicht bedeutendste
Herrscher der indischen Geschichte. Patna, die heutige Hauptstadt Bihars,
war das antike Pataliputra, im 5. Jahrhundert v. Chr. Herrschaftssitz
des Reiches von Magadha.
262 v. Chr. trat der gewaltige Hindu-Kaiser Ashoka nach blutigen Schlachten
gegen das Kalinga-Reich zum Buddhismus über und strebte Frieden an. Doch
800 Jahre später gewannen Hindu-Dynastien die Oberhand über die Buddhisten.
Die der Kesari schuf eine Kultur, die bis ins 16. Jahrhundert hielt, mit
großartigen Tempeln. Und nur die Tempel überstanden den zerstörenden Sturm
der Moguln im 16. Jahrhundert.
Madras und der Süden - Hightech, Tropen und Traumstrände
Für manche ist nur der Süden "echtes" Indien: mit feuchten Dschungeln,
aber auch dürren Ebenen, erfrischenden Bergeshöhen und weiten Stränden.
Wie Wahrzeichen ragen die riesigen Türme der Tempel aus Kokospalmenhainen
auf. Gegen den Norden sind die Staaten des Südens durch den Vindhya-Gebirgszug
geschützt, der sich nördlich von Bombay Richtung Osten erstreckt. Anders
als im Norden bleibt es im Winter nach europäischen Maßstäben sommerlich
warm. Auch werden hier andere Sprachen gesprochen, nicht Hindi, sondern
Kannada, Teluga, Tamil und Malayalam - sämtlich drawidischen Ursprungs,
nicht aus dem Sanskrit und der indoeuropäischen Sprachfamilie hervorgegangen.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten sind die vier südlichen Bundesstaaten Karnataka,
Kerala, Tamil Nadu und das kleine Goa sehr unterschiedlich. Traditionell
ein Land der Gewürze und Seiden, hat Karnataka in seiner Hauptstadt Bangalore
ein Zentrum indischer Hightechindustrie von Weltgeltung aufgebaut.
Goa, die frühere portugiesische Kolonie, kam erst mit Verspätung 1961
zur indischen Republik (seit 1987 als eigener Bundesstaat). Seine Badeküsten
und die portugiesisch gefärbte Kultur, seine Bevölkerung, in der es fast
keine Armut gibt, machen Goa zur Touristenattraktion. Kerala, dessen Backwaters
ideal für tagelange, geruhsame Schiffsfahrten sind, hat die höchste Alphabetisierungsrate
Indiens, die geringste Arbeitslosigkeit und ist sehr fortschrittlich bei
der Gleichberechtigung der Frauen. Tamil Nadu ist berühmt für seine drawidische
Tempelarchitektur, u.a. in Kanchipuram, Mamallapuram, Madurai und Tanjore.
Mit seiner Größe hat Tamil Nadu den Löwenanteil am südlichsten Indien,
reicht bis zu dem den Hindus heiligen Felsenkap des Subkontinents.